Armut in einem reichen Land.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge referiert in Eupen

22. April 2010

Europasaal des Ministeriums der DG, Gospert 1, Eupen

Beginn: 20 Uhr

Kostenbeitrag: 5 Euro

Veranstalter: Attac DG, Miteinander Teilen, Sektion Eupen des Roten Kreuzes

Das Jahr 2010 ist von der EU zum »Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung« erklärt worden — das trifft ebenso überraschend wie unglücklich die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung. Als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise erreicht die Armut in Europa neue, unbekannte Rekordhöhen. Nicht nur Obdachlosigkeit breitet sich aus, auch immer mehr Menschen aus der vermeintlich soliden Mittelschicht rutschen unverschuldet in prekäre Lebensverhältnisse ab. Für Attac Ostbelgien und Miteinander Teilen ist dies Anlass, den Ursachen nachzugehen. Wie kommt die Armut in die Welt? Profitiert womöglich jemand von der Armut? Ist sie sogar geplant, gewünscht oder beabsichtigt? In welchem Zusammenhang stehen Armut und Reichtum? Ist es die Globalisierung, die arm macht? Brisante, drängende Fragen, auf die der Armutsforscher Prof. Christoph Butterwegge der Universität Köln am 22. April im Europasaal des Ministeriums der DG in Eupen Antworten geben wird. Butterwegge ist einer der profiliertesten Armutsforscher Deutschlands sowie Autor von mehr als fünfzig Fachbüchern. Unter dem Leitthema »Armut in einem reichen Land?!« wird der durch zahlreiche Medienauftritte deutschlandweit bekannte Sozialwissenschaftler den Ursachen der wachsenden Armut auf den Grund gehen, und allgemein verständlich erläutern. Der Vortrag beginnt um 20 Uhr, der Eintritt beträgt fünf Euro.

Hintergrund: Armut und Reichtum — (k)ein Widerspruch?

Aus dem fünften Armutsbericht der Dienststelle für Armutsbekämpfung, die dem Zentrum für Chancengleichheit angeschlossen ist, geht hervor, dass die Armut in unserem Land zugenommen hat. Rund 15 Prozent der Belgier, 1,5 Millionen, leben aktuell unter der Armutsschwelle, die heute bei 878 Euro im Monat für einen Alleinstehenden und bei gut 1800 Euro für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern liegt. Gleichzeitig nimmt in Belgien (aber nicht nur dort, sondern auch in unseren Nachbarländern) die Konzentration von Reichtum und Superreichtum in hohem Tempo zu. Das finanzielle Vermögen der belgischen Familien stieg statistisch betrachtet zwischen 1992 und 2009 um 80 Prozent auf 800 Milliarden Euro, was etwa zweieinhalb Mal dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) unseres Landes (rund 330 Mrd. Euro) entspricht. Das Vermögen ist in Belgien aber sehr ungleich verteilt: Mehr als die Hälfte des Reichtums in den Familien ist im Besitz der reichsten zehn Prozent. Nach Angaben der Wirtschaftsforschungsabteilung der britischen Barclays Bank haben 10,2 Prozent der belgischen Familien ein Nettovermögen von mindestens einer Million Dollar oder 700000 Euro. Dieser Anteil soll bis 2017 auf 17 Prozent (jede sechste Familie) steigen. Armut und Reichtum nehmen gleichzeitig zu. Wie passen diese Entwicklungen zusammen? Spontan mag man denken: gar nicht. Die Antwort lautet aber: Das passt sehr wohl zusammen. Armut und Reichtum sind Teil der gleichen Medaille. In einem Zweizeiler von Bertolt Brecht heißt es treffend: »Reicher Mann und armer Mann / Standen da und sah'n sich an. / Da sagte der Arme bleich: / Wär' ich nicht arm, wärst Du nicht reich.« Ohne Armut kann es keinen Reichtum geben. Und umgekehrt. Reichtum bedeutet die Möglichkeit, wirtschaftlich und politisch Macht auszuüben, wie Armut umgekehrt bedeutet, ökonomische und soziale Ohnmacht zu erfahren.

Porträt: Christoph Butterwegge

Der Abend verspricht, interessant zu werden. Der Armutsforscher Christoph Butterwegge kommt am 22. April nach Eupen. Christoph Butterwegge ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln. Der Autor von mehr als 50 Fachbüchern ist in unserem Nachbarland Deutschland einer der profiliertesten Armutsforscher, der durch unzählige Medienauftritte einem breiten Publikum bekannt wurde. Butterwegge ist ein sozial engagierter Wissenschaftler und ein Freund klarer Worte. Für ihn ist die wachsende Armut gleichbedeutend mit einer Gefährdung der Demokratie. Armut entziehe besonders vielen jungen Menschen lebensnotwendige Entwicklungsgrundlagen: körperlich, seelisch, ethisch, kulturell und ökonomisch. Um sich politisch zu beteiligen, müsse man spezielle Ressourcen haben, auch materielle, über die Arme vielfach nicht verfügten, so Butterwegge. Die zunehmende soziale Spaltung erhöhe nicht bloß das Konflikt- und Gewaltpotenzial der Gesellschaft, sondern vielmehr auch die Wahrscheinlichkeit einer Krise des politischen Systems. Arme Menschen fühlten sich von ihren politischen Repräsentanten kaum oder gar nicht vertreten. Der 59-Jährige gebürtige Westfale ist davon überzeugt, dass die Gesellschaft nach wie vor in Klassen und Schichten eingeteilt ist — auch wenn manche Politiker dies nicht gerne hören würden. Butterwegge wehrt sich dagegen, den von Armut und sozialem Abstieg Betroffenen selbst die Schuld an ihrer Situation zuzusprechen. Arme und Reiche, so der Kölner Politikwissenschaftler, lebten in einem permanenten Spannungsverhältnis, »das sich zur sozialen Zeitbombe entwickeln kann, während Politik, Staat und Verwaltung nicht selten die Armen anstelle der Armut bekämpfen, statt für einen gerechten sozialen Ausgleich zu sorgen«. Früher, so Christoph Butterwegge, verkörperten die Armen ein »soziales Worst-case-Szenario« für Gesellschaftsmitglieder, die sich nicht systemkonform verhielten; ihnen blieb jedoch (fast) immer die Hoffnung, ihre Lage durch eigene Anstrengungen und/oder glückliche Fügungen des Schicksals zu verbessern. Auch wenn diese Erwartungen fast nie erfüllt wurden, steckte darin ein wichtiger Lebensimpuls, der sonst schwer vergleichbare Gruppen miteinander verband, »weil soziale Grenzlinien zumindest prinzipiell überwunden werden konnten«. Armut diente also der Disziplinierung, Motivierung und Loyalitätssicherung. Oder in den Worten Christoph Butterwegges: »Die Angst vor der Armut war ausgesprochen nützlich für den Fortbestand des politischen und Gesellschaftssystems.« Und ist es vermutlich heute noch. Von geschliffenen Thesen wie dieser hat Christoph Butterwegge noch mehr auf Lager. Aber das ist etwas für den Abend des 22. April. Wie schon erwähnt: Der Abend verspricht, interessant zu werden.

Eine Bilderstrecke gibt es hier.